Teil 10: «Das Orchester ist mein Instrument»: Dirigentin und Leiterin des Orchesters Akkordeon Solothurn

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Im 10. Teil unserer Serie «Solothurnerinnen sichtbar gemacht» kommt Susanne Weber aus Wiedlisbach zu Wort. Sie leitet und dirigiert das Orchester Akkordeon Solothurn und gibt Akkordeon-Unterricht.

Sophie Deck

Susanne Weber erklärt der Akkordeonspielerinnen und -spielern Klänge in Bildern.
Bild: José R. Martinez

Da der Kampf um Frauenrechte immer auch ein Kampf ums Sichtbarwerden war und ist, wollen wir 2021 Solothurnerinnen sichtbar machen. Deshalb erzählen Solothurnerinnen von ihren Erlebnissen und Zielen und zeigen sich so den Leserinnen und Lesern.

Susanne Weber

ist 41 Jahre alt und wohnt in Wiedlisbach. Sie begann während der Primarschule mit Akkordeonspielen und machte eine Lehre als medizinische Praxisassistentin, bevor sie sich entschied, den Weg der Musik zu gehen: Dann studierte sie im Musikstudio Frey in Reinach Musik und machte die Ausbildung zur Akkordeonlehrerin. Nun unterrichtet sie Akkordeon und ist seit zwölf Jahren Dirigentin beim Verein Akkordeon Solothurn (früher noch Handharmonika Solothurn). Morgen Samstag gibt das Orchester ein Konzert. Susanne Weber ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.

Was ist Akkordeon Solothurn?

Susanne Weber: Wir sind ein Verein aus Akkordeonspielerinnen und -spielern aus Solothurn und der umliegenden Region, den es seit 89 Jahren gibt. Unser Kern ist das Orchester mit 25 Mitgliedern, das sich jede Woche zum Üben trifft. Die meisten von uns sind Amateure, wir spielen einfach alle gern. Dann gibt es noch die Jugendgruppe, die immer von März bis Oktober ein Konzert vorbereitet. Die meisten melden sich jedes Jahr wieder an. Und einige wechseln, wenn sie älter sind, auch ins Orchester. Die jüngste Person im Orchester ist 16, die älteste 82.

Was ist dort Ihre Rolle als musikalische Leiterin und Dirigentin?

Als musikalische Leiterin plane ich das Programm für Konzerte und schreibe manchmal Stücke um, für die es noch keine Akkordeonnoten gibt. Als Dirigentin ist es meine Aufgabe, mir zu überlegen: Wie soll dieses Stück klingen? Und es dann mit den Musikerinnen und Musikern so umzusetzen.

Wie macht man das?

Beim Dirigieren gibt es zuerst einmal einen technischen Aspekt: Mit der rechten Hand zeigt man mit bestimmten Bewegungen den Takt an, mit links kann man das unterstützen oder auch andere Aspekte, wie zum Beispiel laut und leise, anzeigen. Diese Bewegungen lernt man in der Dirigierausbildung. Dann hat noch jede Dirigentin und jeder Dirigent ihre oder seine eigene Handschrift, ich nehme zum Beispiel die Lautstärke auch in die Bewegung auf, mit der ich den Takt anzeige. Wichtig ist, dass das, was ich meine, auch beim Orchester ankommt.

Sie haben Musik studiert, die meisten Orchestermitglieder sind Amateure. Ist es denn nicht schwierig, diese Dinge richtig herüberzubringen?

Nein: Statt Fachbegriffe zu verwenden, versuche ich den Klang einfach in Bildern zu erklären. Ich sage zum Beispiel: Probiert diesen Ton auf Watte zu legen. Oder: Stellt euch vor, wir fahren im Bipperlisi nach Solothurn und alle freuen sich auf ein Kaffi in der ‹Suteria›. Das ist leichter zu verstehen als zum Beispiel «Ihr müsst ein ausgeprägtes Rallentando machen». Und wenn es dann auch wirklich klappt und so klingt, wie ich es mir vorstelle, dann ist das so ein schönes Gefühl.

Wussten Sie schon von Anfang an, dass Sie auch unterrichten und dirigieren wollten?

Unterrichten wollte ich schon immer, ich habe mir nie eine Karriere als Solistin vorgestellt. Ich geniesse es, mit Menschen zu arbeiten und mein Wissen weiterzugeben. Aber vom Dirigieren dachte ich anfangs, dass es gar nichts für mich wäre.

Warum nicht?

Ich wollte nie im Mittelpunkt stehen. Im Musikstudium musste ich auch das Fach Dirigieren und Ensembleleitung belegen, aber ich hatte das Gefühl, nein, dann schauen alle mich an, ich kann das nicht.

Was hat sich geändert?

Später nach dem Studium fragte mich eine Kollegin, ob ich für sie als Dirigentin bei ihrem Orchester einspringen könnte. Ihr zuliebe sagte ich ja. Da merkte ich aber, dass ich mich beim Dirigieren gar nicht so fühlte, als stünde ich im Mittelpunkt: Wenn ich dirigiere, bin ich voll und ganz bei den Musikerinnen und Musikern. Das Orchester ist mein Instrument.

Und Ihr anderes Instrument? Wieso haben Sie sich das Akkordeon ausgesucht?

Wie ich mich damals dafür entschieden habe, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Ich glaube, ich habe es im Fernsehen gesehen und fand es so faszinierend: Wie trifft man alle diese Knöpfe? Und es macht mir einfach Spass, mir gefällt der Klang, vor allem im Orchester. Wir haben vielleicht nicht die gleiche Klangvielfalt wie ein Streichorchester, weil wir alle das gleiche Instrument spielen. Aber dafür können wir mit den Akkordeons auch Dinge, die Streicher nicht können, zum Beispiel mit dem Balg die Lautstärke eines Tons gezielt kontrollieren.

Zum Abschluss: Was ist für das Konzert morgen geplant?

Wir führen die Zuhörer im Konzertsaal mit den Stücken auf eine Gedankenreise durch die Stadt. Mit dem Stück der Jugendgruppe starten wir im Schulhaus Schützenmatt. Unten in der Stadt gehen wir zum Beispiel beim Von Roll Haus vorbei, wo Giacomo Casanova einmal wohnte, indem wir «Just A Gigolo» spielen und bei der Jesuitenkirche mit einem Barockstück von Bach. Ausserdem spielen wir eine Version des Solothurner Liedes, das in vier Sätzen den Tag in Solothurn darstellt: Der erste Satz ist der Nebel am Morgen über der Aare, der zweite Satz ist der Märet, der dritte Satz ist die Idylle in der Verena-Schlucht und der vierte Satz ist das Glockengeläut der St.-Ursen-Kathedrale am Abend. Wenn jemand nicht weiss, wie ein Akkordeonorchester klingt, es aber gerne wissen würde, dann soll sie oder er doch vorbeikommen.

Was ist für Sie die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft?

Das kommt sicher sehr darauf an, in welchem Land und in welcher Gesellschaft diese Frau lebt. Hier bei uns haben wir es, denke ich, erreicht, dass jede Frau selbstbestimmt ihr Leben leben kann. Und ich persönlich hatte Glück, dass ich nie Diskriminierung und Ungerechtigkeiten erfahren habe. Aber ich denke, es gibt immer noch Dinge, die nicht so gut sind und da ist es wichtig, dass wir für die Zukunft dranbleiben.

Gibt es etwas, was Sie anderen Frauen mit auf den Weg geben möchten?

Wenn man etwas findet, was einen begeistert und in das man sein Herzblut steckt, sollte man sich dafür einsetzen und dranbleiben – auch wenn es vielleicht Schwierigkeiten gibt oder nicht gleich der erste Weg funktioniert. Und aus meiner Erfahrung ist der erste und schnellste Weg gar nicht immer der beste. Bei mir hat es sich manchmal gelohnt, einen Umweg zu machen, um ein Ziel zu erreichen.

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