In diesem Studio kann man Fesseln lernen und sich fesseln lassen: Ein Spiel zwischen Kunst und Erotik
Atrim Namor vom Studio «Atrim Namor Juko» beschäftigt sich schon seit Jahren mit der japanischen Fesselkunst Shibari. In seinem Studio gibt er Workshops und bietet Fesselsessions an. Für ihn hat das Fesseln verschiedene Facetten.
Sophie Deck
Die Tür ist durch einen Vorhang abgedeckt, doch der Raum ist nicht dunkel, die Kissen auf dem Boden baden in mattem Herbstlicht, das durch die Fenster hereinkommt. An der Wand hängt eine Zeichnung japanischer Blumen.
Dort auf den Kissen sitzt du, ganz still. Ein Seil schlingt sich in eleganten Wendungen und Verknotungen um deine Arme, hoch bis zu deinen Handgelenken. Es ist fest verbunden mit dem anderen Seil, das deine Beine zusammenhält.
Kopf drehen geht gerade noch. Aufstehen ist unmöglich, Hinlegen oder Aufsetzen ohne Hilfe auch. Anstrengend ist es nicht. Das Seil hält dich, du kannst dich zurücklehnen und bleibst fest auf dem Boden sitzen.
«Wenn ich dich jetzt so hier sitzen lassen würde, kann ich dir fast sicher sagen: Du würdest innerhalb von 10 Minuten einschlafen», sagt Atrim Namor und begutachtet seine Kreation.
In seinem Studio, der Atrim Namor Juku, in Oberbipp lassen sich jede Woche Leute so – und noch viel komplizierter – fesseln. Es ist das einzige Shibari-Studio in der Region, das nächste befindet sich in Zürich. Atrim gibt hier Shibari-Workshops und bietet Fessel-Sessions sowie -Fotoshootings an.
Shibari: Von der Kampfkunst in die Pornoindustrie und wieder zurück
In der japanischen Edo Periode (1600 – ca. 1870) wendeten die Leibwächter des damaligen Kaisers die Kampfkunst Hojōjutsu, die Vorgängerin des heutigen Shibari, im Nahkampf an. Sie hatten ein Seil mit einem Haken, den sie versuchten, während des Kampfes an ihrem Gegner festzumachen. So sollte der Gegner, egal wie er sich danach bewegte, am Ende gefesselt sein.
Fesseln hatte damals eine wichtige Bedeutung in Japan. Man sage sogar, dass die Art, wie ein Gefangener gefesselt war, dem Richter schon sein Verbrechen verriet.
Irgendwann verschwand die Kunst und tauchte dann nach dem zweiten Weltkrieg als Shibari in der Rotlicht-Szene Tokyos wieder auf. Es fand in gewissen Kreisen grossen Anklang, was dazu führte, dass es in Pornos vorkam, die dann über Videokassetten und später über das Internet nach Europa überschwappten.
In Europa begannen verschiedene Leute Shibari-Workshops anzubieten. So gewann die Fesseltechnik auch ihren künstlerischen Aspekt wieder zurück.
«Meine erste Erinnerung ans Fesseln ist, wie ich mich mit sieben mit der Strumpfhose meiner Mutter selbst fesselte», erzählt der heute 53-Jährige. Damals habe er nichts gewusst von Shibari, der japanischen Fesselkunst, die er nun als Beruf praktiziert. Er könne auch nicht mehr sagen, was er sich dabei überlegt habe – sexuell motiviert sei es jedenfalls nicht gewesen.
«Ich übte immer weiter an mir selbst. Ich machte einfach irgendetwas, Internet zum Nachschauen gab es noch nicht», erzählt er. Er entdeckte schliesslich mit 30, dass es einen Namen gab für die Praxis, mit Seilen Muster auf einem Körper zu kreieren:
«Im Internet sah ich ein Foto einer kunstvoll gefesselten Japanerin. Ich überlegte mir, wie ich mehr davon finden könnte und googelte mal: ‹Fesseln Japan›. Da kamen hunderte solcher Bilder. So entdeckte ich auch die Bezeichnung ‹Shibari› und mir tat sich eine neue Welt auf.»
Atrim fand einen Workshop in Deutschland und lernte dort professionell Fesseln. Später wurde er wieder kreativ, überlegte sich seine eigenen Techniken und Formen und eröffnete schliesslich das Studio «Atrim Namor Juku». Nun fesselt er professionell wie auch privat – zum Beispiel seine Lebenspartnerin.
Atrim Namor fesselt seine Lebenspartnerin (Bilder: José R. Martinez):
Sicherheit und eine gute Absprache sind wichtig
«Wie bei jeder Kunst, sind beim Fesseln der Kreativität keine Grenzen gesetzt», sagt Atrim. Es gäbe unzählige Muster und Anleitungen: Man kann nur Beine, nur Arme oder nur Hände fesseln – oder den ganzen Körper. Das rope bunny (Gefesselte oder Gefesselter) kann auf dem Boden sitzen oder liegen. Oder sie oder er kann an der Decke hängen – das nennt sich Suspension.
Jeder kann ein rope bunny oder ein rigger (Fesselnde oder Fesselnder) sein. Manche wechseln zwischen den beiden Rollen; diese nennt man «Switcher».
In seinen Anfängerkursen bringt Atrim den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Basics bei, mit denen sie später kreativ sein können. Man lernt einen Knoten, der für alle Konstruktionen funktioniert sowie einige simple Muster. Und noch etwas Wichtiges: «Das erste Thema ist Sicherheit», sagt Atrim. Passe man nicht auf, könnte man zum Beispiel mit dem Seil die Blutzirkulation von jemandem unterbrechen.
«Wenn man die Sicherheitsvorkehrungen aber ernst nimmt, ist Shibari nicht gefährlicher als jedes andere Hobby.»
Ein anderer wichtiger Faktor sei, dass sich Fesselnde und Gefesselte einig seien über «das Ziel der Session sowie den Weg dahin». Shibari habe viele Facetten, und was jemand sich von einer Fesseln-Session wünscht, sei daher individuell. Manche möchten einen Orgasmus, andere nur ästhetische Fotos.
Für Atrim selbst ist Shibari sowohl Kunst als auch Erotik. Um Sex aber gehe es deswegen nicht unbedingt. «Dafür müsste ich auch niemanden fesseln», sagt er. Ihn reize das Gefühl von Macht, doch das sei für jeden anders.
«Alles ist vollkommen legitim. Wichtig ist, dass man vorher in Ruhe darüber spricht.»
Erotik, Kunst und Leidenschaft
Shibari kann auch nur Kunst sein: 2019 hat Atrim an der Art Basel Baumwurzeln gefesselt. Und auch einen Körper könne man fesseln, ohne dabei Erregung zu empfinden. Objekte statt Körper zu fesseln ist für einige Shibari-Künstler ihr ganzer Verdienst. So gibt es auch einen Künstler aus Japan, der mit Seilen Netze zwischen Bäumen flechtet.
Atrim konzentriert sich aber hauptsächlich auf seine Arbeit im Studio mit Menschen. Nachdem man seinen Anfängerkurs gemacht hat, könne man es sich zu Hause selbst weiter beibringen. Er gibt aber auch Kurse für Fortgeschrittene, welche das Gelernte noch vertiefen und man kann auch individuelle Fesseln-Sessions buchen.
Damit und mit der Musik, die er in Bands macht, verdient Atrim sein Geld – genug, um davon leben zu können. Aber eigentlich fessle er nicht deswegen: «Geld dafür zu verlangen gibt dem Ganzen eine professionelle Ebene», erklärt er. «Aber Fesseln macht mir einfach Spass. Es ist meine Leidenschaft.»